Norwegen

Das Gebirge im Meer

„Warum fährst du denn nach Norwegen auf Urlaub? Hier ist es doch eh ganz gleich wie bei euch in Österreich.“ fragt mich der Einheimische, den ich gerade gebeten hatte ein typisches Touristenfoto zu knipsen, verwundert. Also entweder hat der Typ keine Ahnung von Österreich, oder er kennt sein eigenes Land nicht sehr gut. Auf den ersten Blick haben die Alpenrepublik und das Land der Wikinger wirklich einiges gemeinsam: Berge, raues Klima, viele Seen und Bäche, aber schaut man genauer hin, gibt es genügend Gründe das skandinavische Land als Urlaubsdestination auszuwählen. Aber jetzt mal zum Anfang der Geschichte…

„Da muss ich hin!“ schießt es mir im Mai desselben Jahres durch den Kopf, und ich sehe mich schon genau auf diesem Trail zum Fjord hinuntergleiten. Der Videoclip der Marke Norrøna zur Markteinführung ihrer Fjøra Bikekollektion kommt zur rechten Zeit. In genau zwei Monaten geht unsere Fähre zum diesjährigen Sommerbiketrip, und bis jetzt war es schwer im Internet oder anderen Medien Infos zu Touren, oder gar anspruchsvollen Trails zu finden.

Norwegen ist aufgrund der klimatischen Bedingungen – in Mittelnorwegen liegt die Baumgrenze bei zirka 1000 Metern – zumindest im Fjordland forstwirtschaftlich weit weniger erschlossen als mitteleuropäische Länder. Deshalb sind Forststrassen wie wir sie kennen meist Fehlanzeige. Unsere Hoffnung ruht also auf den Wanderwegen.

Wieder zurück in die Gegenwart: nach knapp zwei Tagen, 1700 Kilometern und einer Nacht im Fichtelgebirge inklusive kurzer Erkundungstour, rollt unser Bus am Campingplatz in Hirtshals, Dänemark ein. Trotz der späten Uhrzeit ist es noch hell und das Licht ideal zum Fotografieren. Gleich in der Nähe befindet sich das Bunkermuseum, ein Zeuge finsterer Zeiten, und durch die Dünen ziehen sich unzählige schmale, sandige Wege. Keine echte Tour, aber eine Möglichkeit sich ein wenig einzurollen. Sogar die Bunker selbst wecken das Kind in mir und bieten immer wieder die Möglichkeit zu Spielen.

Am nächsten Tag wartet etwas weiter südlich eine Überraschung auf mich. Früh morgens entdecke ich zufällig einen gebauten Trail, offenbar als XC Trainingsstrecke angelegt. Der Weg schlängelt sich flowig durch den Wald und endet schließlich mitten in den Dünen mit grandioser Aussicht auf die Nordsee. Gerade noch rechtzeitig schaffe ich es zurück zum Camp und eine halbe Stunde später befinden wir uns auf der Fähre ins Nordland.

Die Telemark ist die südlichste Provinz Norwegens und hat, wie der Name vermuten lässt, irgendwas mit Skifahren zu tun. Und wie wir erfahren, ist der Ort Morgedal die Wiege des Skisports, der dann am Arlberg zu seiner alpinen Feinform perfektioniert wurde. Anders als weiter nördlich, gibt es hier dichten Baumbestand durch den Wanderwege mäandrieren. Allerdings muss man den Berichten in Magazinen und Videos Recht geben: ohne Guide ist hier nur schwer etwas vernünftiges zu finden. Etwas provokant wage ich zu behaupten, dass nicht alle Fotos und Videos auf einer „Tour“ im klassischen Sinne entstanden sind…

Aber uns zieht es ohnehin weiter nach Norden. Als alpin orientiertem Biker haben es mir die Fjells (norwegisch für: Hochebenen, Almen) und die schroffen Felsriesen an den Fjorden besonders angetan. Die erste Möglichkeit den extrem griffigen Fels unter die Stollen zu nehmen bietet der Nationalpark Hardangervidda. Von Kurve zu Kurve wird die Vegetation spärlicher und schließlich sind auch die robusten Zwergbüsche verschwunden. Was jedoch unverändert bleibt ist das allgegenwärtige Wasser – sogar jetzt im Juli. Gewaltige Mengen des Lebenselexirs stürzen in die tiefen Schluchten, speisen Bergseen die türkiser sind als es die Karibik je sein wird, und donnern in wilden Bächen weiter in Richtung Meer. Die Hardangervidda ist wandertechnisch, wie auch die anderen Fjells, sehr gut erschlossen, allerdings sind solide Fahrtechnik und der Wille, sein Bike auch länger zu schieben eine Grundvoraussetzung. Spitze Seine und viel Schlamm machen ein Weiterkommen sehr schwer. Eine gute Alternative ist es, Pässe auf Asphalt (oder per Auto) rauf, und auf Wanderwegen runter zu fahren. Diese Trails oder alten Schotterstrassen kürzen sehr oft Passstrassen ab, kreuzen sie aber immer wieder.

Ähnlich verhält es sich im Jotunheimen Nationalpark, der mit dem Gjendesee, den angeblich schönsten Bergsee Europas beherbergt.

Jetz wird aber mal das Aufstiegsmedium gewechselt. In Voss bringt einen die Gondel direkt auf die Hochebene, und ja, hier lässt sich eine schöne Runde drehen, die mit einem Wurzeltrail bis ins Tal endet, endlich! Im nahe gelegenen Geilo, einem Wintersportmekka für Norweger, gibt es sogar einen Bikepark, der von den Locals in liebevoller Kleinarbeit angelegt und in Schuss gehalten wird. Hier herrscht kein Gedränge, und die Trails sind einfach zu fahren. Die Locals bestätigen auch meine ursprüngliche Vermutung: „Forststrassen enden im Fjordland meist an einer Alm oder einem Gehöft, und ab dort musst du das Bike den Trail hinauftragen“, erzählt mir ein Typ aus Romsdal. Bikebergsteigen aus Notwendigkeit heraus und nicht als Trend…

Das will ich mir ansehen! Vorbei am Skiort Stryn, der mich an meine Snowboardvergangenheit erinnert, geht es bei Strånda mit der x-ten Fähre über den Fjord, und am Campingplatz in Sylte schlagen wir unsere Base für die nächsten Tage auf. Das Wetter ist uns, wie während unserer ganzen Reise, wohlgesonnen und so starten wir auf den Mefjellet, den Hauptdarsteller im Video. Die Orientierung fällt nicht leicht, es gibt keine GPS Tracks, keine Tourenbeschreibung aus dem Internet, nur die (ungenaue!) Wanderkarte und einen Katalog der Outdoormarke mit handgezeichneter! Karte. Wie angekündigt ist an einer idyllischen Alm Schluss mit Fahren. Das Bike wird ächzend auf die Schultern gehievt und keuchend geht es weiter Richtung Gipfel. Der Trail selbst ist nicht besonders schwer und die Abfahrt vom Gipfel relativ kurz, aber das Panorama ist nicht zu toppen. Vollendet wird dieses einmalige Erlebnis duch einen Trail der uns durch lichte Birkenwälder direkt an den Fjord schießt – Colorado lässt grüßen.

Nächster Tag, nächster Trail: in der Nacht hat es geregnet, und die Berggipfel sind in dichte Nebelschwaden gepackt. Ich entschließe mich, diese Abfahrt alleine zu unternehmen und lasse mich so weit es geht shutteln. Dann offenbart sich mir ein drastisch anderes Szenario als am Tag zuvor: Steine wohin man sieht, fahrtechnisch grenzwertig, nicht weil es so gefährlich, oder unfahrbar wäre, sondern weil man bei zu langsamem Tempo einfach stecken bleibt. Die letzten Meter bis zum Gipfel lege ich fast blind zurück. Irgendwo aus dem Nebel höre ich das Blöken von Schafen. Fast könnte man meinen nach der nächsten Kehre ein Wikingerdorf samt grimmiger Nordmänner zu finden. Schnell umgezogen, dann geht es los. Meine Vermutung bewahrheitet sich: schwer, sehr schwer, aber fahrbar. Nass, aber nicht glatt wie Seife. Dem Gleichgewichtstraining sei Dank, alles geht gut, und ohne Sturz erreiche ich einen Bauernhof. Der Pfad biegt in den Wald ein und auf einmal geht alles ganz leicht. Kurvig zieht sich der Trail durch weichen Waldboden, nur mehr ab und zu zwingen mich Steinstufen zur Temporeduktion, und wieder endet der Ritt direkt am Meer. Unglaublich. Die nächsten Tage verlaufen ähnlich. Ein Trail ist besser als der andere, und alle sind sie verschieden. Jeder hat seinen ganz eigenen Charme. Nur wiederwillig verlassen wir diese traumhafte Gegend in der Nähe des berühmten Geirangerfjords. Die Fähre zurück in den Alltag ruft. Zuvor soll es aber noch einen ganz besonderen Abschluss unserer Reise geben, und so kurven wir über die Trollstiegen und das liebliche Gudbrandsdal in Richtung des Olympiaortes Lillehammer.

Der Bikepark Hafjell war 2012 Austragungsort des Weltcupfinales im Downhill, und entsprechend gut ausgebaut ist der beste Park in Norwegen. Was aber besonders auffällt ist die Freundlichkeit des gesamten Teams. „Herzlich willkommen!“ steht da auf einem folierten Zettel am Parkplatz. „Stellt euren Bus ruhig hier ab, benutzt die Grillstellen, duschen könnt ihr bis 21 Uhr in der Talstation, WLAN ist sowieso gratis…“. Da bleibt mir als oft verjagtem Camper mal kurz der Mund offen stehen.

Der Park bietet für jeden etwas und sogar mit meinem treuen All Mountain ist alles – natürlich im Rahmen – fahrbar. „Ah, ihr seid aus Österreich. Dann probiert mal die schwarzen Lines „Old School“ und „New School“ , die sind eigentlich wie eure natürlichen Trails.“ rät mir der kanadische Guide aus Whistler. Und tatsächlich, wir fühlen uns wie zu Hause. Nach zwei Tagen Parkshredding und abendlichen Bieren im Pub sind wir fix und fertig und bereit für die Heimreise.

Warum fahren wir also nach Norwegen auf Urlaub? Ganz einfach, weil es doch feine Unterschiede zwischen Skandinavien und Österreich gibt. Die Trails enden oft am Meer, es ist sehr viel länger hell, und die Lichtstimmung einfach genial, die Landschaft ist noch unberührter und hinter jeder Kurve wartet ein neues Naturschauspiel, man trifft selten andere Biker, und wenn doch, sind sie oft freundlicher als zu Hause, man kann prinzipiell überall campieren. Aber das wichtigste: in Norwegen ist Biken noch ein Abenteuer.